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Ulles Ende
Um ihn herum wurden Scheinwerfer aufgestellt und eingeschaltet. Kameras surrten, Lichter blitzten. Leute, die bisher an ihm vorbeigingen,
blieben stehen und guckten. Nachdem er im Fernsehen und auf Fotos mit seinem Westernhut, seinen langen Haaren, dem Mantel, den Stiefeln
und seinen „Bomben“ gezeigt und über ihn berichtet und geschrieben worden war, brachten Leute Flaschen mit kaum etwas darin aus ihren
Hausbars, damit er, wie sie sagten, sich aufwärmen, aber nicht betrinken könne, wackelige Stühle, durchgelegene Matratzen und
durchgebrochene Lattenroste, dass er nicht auf der Straße sitzen oder liegen müsse, Bekleidung, die in den Reißwolf und nicht auf das
Pflaster gehörte, löchrige Decken, kaputte Stofftiere, Teddybären und einen Wecker zum aufziehen. Der tickte, aber stimmte mit anderen
Uhren nicht überein. Ulle lebte eine Weile mit dem Zeug, bis ein Reinigungstrupp alles wegräumte. Dann brachten die Leute erneut und
die Arbeit ging von neuem los.
Er gab sein Gesicht frei, das seiner Tätowierung ähnlich sah: Ein Totenschädel mit Westernhut und langen Haaren. Er zog sein dünnes
Bein, bleiche Haut, fast ein Knochen, aus dem Stiefel. Rötungen, geldstückgroße Flecke, so was von schwarz, fingen an, sich
zusammenzutun. Jemand von der Straßenreinigung rief einen Rettungswagen. Auf der Station war er nicht. Er saß mit seinem Westernhut,
Trainingsanzug und den Stiefeln mit den abgelaufenen Absätzen im Klinikpark, nickte ein und verpasste immer wieder aufs Neue sein
Essen. Wie er den Kopf hängen ließ, seine Haare wie ein Vorhang. Die Zigarette fiel ihm aus den Fingern. Da war was neben seinem Bein.
Da war im Schatten von seinem Bein eine „Bombe“. Die schien ihm nachzulaufen. Sogar noch bis hierher.
„Solch ein Ding haben die mir reingesteckt“, lallte er und deutete die Länge der Punktionsnadel an, drehte den Arm nach hinten und
zeigte auf seinen Rücken. Er machte sich zum Draufzeigen richtig krumm. Ein Buckel, ein Verband, wölbte sich unter dem Blau.
„Die haben aus mir rausgepumpt, ohne Ende. Das tat weh, du glaubst es nicht“, waren seine letzten Worte.
Nach der Beerdigung war es anders als sonst. An solchen Abenden schmuggelte niemand Alkohol in die Nachtunterkunft. Alle tranken Kaffee
oder Tee. Keiner grölte oder krakeelte. Sein Bett blieb leer. Niemand wollte es haben. Niemand erhob Anspruch darauf. Zur Not schlief
man auf dem Fußboden. Wenn einer neu kam und nicht begriff, machten ihm das alle klar. Entweder er verstand oder ging. An solchen
Abenden wurde angeschrieben. Der Zettel wurde weggeworfen.
Am nächsten Morgen mussten Schraubverschlüsse gedreht und Flaschen angesetzt, Büchsen aufgerissen und ausgetrunken werden.
Er hatte es auch gemacht.
Veröffentlicht im Straßenmagazin fiftyfifty 15. Jahrgang August 2009.
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